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Ein Beitrag von Dietrich Schulze-Marmeling

Aktualisiert: 2. Juni 2020

Da meine Arbeit schon vor Corona zu 70 Prozent aus Homework bestand, war ich bestens vorbereitet. Hinzu kommen: großer Garten, schönes Wetter etc.



In unserem Verlag hatten wir zunächst gewisse Anpassungsschwierigkeiten.

Mittlerweile klappt das mit den Videokonferenzen ganz gut. Und man hat das Gefühl: Es wird noch konzentrierter gearbeitet als zuvor. Es wird sogar intensiver kommuniziert. Anfangs herrschte große Unsicherheit: Die Buchhandlungen schlossen, amazon schloss seine Lager für Bücher, um sich auf den Vertrieb von Desinfektionsmitteln und Klopapier zu konzentrieren. Wir haben dann aber – gemeinsam mit den lokalen Buchhandlungen – eine Antwort darauf gefunden. Eine Antwort, die Corona hoffentlich überlebt (Verringerung der Abhängigkeit von amazon, Entwicklung eigener Vertriebskanäle, last but not least: support your local bookshop). Richtig war auch, dass wir anti-zyklisch agiert haben. Mittlerweile werden wieder Bücher produziert, die auch ihren Absatz finden.

Ich selber war von Corona insoweit betroffen, dass ich für den 15. März einen Flug nach Liverpool gebucht hatte. Besuch des Spiels Everton – Liverpool (16. März), Recherchen und Interviews zu einem Buch über Klopp und Liverpool. Mit im Gepäck: ein Fotograf.

Im Nachhinein empfinde ich es ein bisschen peinlich und entlarvend, wie ich mit der Krise zunächst umging. In England tobte der Virus bereits heftig, aber Boris Johnson machte keine Anstalten, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Er war noch besoffen von seinem „Brexit“. Ich wusste, dass seine Strategie verheerend war – und hoffte zugleich, er würde Großveranstaltungen erst nach dem 16. März verbieten. Komplett bescheuert und bigott. (Am 12. März war eine unserer Töchter noch rechtzeitig aus Italien zurückgekehrt, um sich hier in häusliche Quarantäne zu begeben…) Am Mittwoch hatte Liverpool gegen Atlético gespielt – vor Publikum. Klopp war dagegen gewesen. 3.000 Leute fliegen aus Madrid ein – aus einer Stadt und einem Land, wo Schulen und Universitäten bereits geschlossen hatten und nur noch Geisterspiele erlaubt waren. Heute weiß man, dass das Spiel in Anfield als Viren-Schleuder wirkte. In dieser Stadt, die ich sehr mag und deren Entwicklung ich täglich verfolge, gab es zum Zeitpunkt des Spiels 10 Corona-Fälle. Heute zählt man dort über 250 Corona-Tote. Das National Health Service (NHS) gerät an seine Grenzen, das Krankenhauspersonal schneidert sich seine Schutzkleidung aus Plastiktüten.

Am Freitag nahm mir die Premier League die Entscheidung ab. Der 30. Spieltag der Premier League wurde abgesetzt.

Die erste Zeit des Lockdowns habe ich fast ein wenig genossen. Diese Ruhe…Es gibt doch relativ viele Dinge, auf die man verzichten kann. Und im Edeka-Markt fahren dir die Leute mit ihrem Einkaufswagen nicht mehr in die Hacken. Ein leichtes Hüsteln reicht, um am Gemüsestand den Abstand zu verteidigen. Meine Bewegungsfreiheit ist nicht dramatisch eingeschränkt. Aber hier geht es anderen Menschen in anderen Lebenslagen natürlich völlig anders. Bei uns sind die Kinder aus dem Haus. Und einen sozialen Absturz müssen wir auch nicht befürchten. Würde ich jammern, wäre dies schlicht asozial.

Ich werde häufig gefragt, ob ich den Fußball vermisse. Nicht wirklich, nicht zur Gänze. Das höre ich auch von Kollegen, und das sollte den Watzkes und Rummenigges zu denken geben. Ich vermisse ihn eigentlich nur beim Blick auf unser verwaistes Sportzentrum. Mit tun vor allem die vielen Jugendspieler leid. Der Bundesliga tut eine gewisse Zeit der Quarantäne ganz gut – hoffentlich nutzt man die Zeit zum Überdenken gewisser Entwicklungen. Das gilt auch für andere Bereiche der Gesellschaft. Und hoffentlich hängen unsere Nachwuchskicker nicht nur vor dem PC herum und stopfen sich mit Süßigkeiten voll.

Für uns als TuS-Fußball-Verantwortliche ist es insofern schwierig, dass wir nur wenig planen können. Eigentlich überhaupt nichts. Das ist schon komisch. Es gab Zeiten, da hat man 15 bis 20 Stunden pro Woche in den Verein investiert. Der Fußball fährt ja stark auf Sicht. Meine Befürchtung ist: Durch eine zu frühe und zu radikale Lockerung haben wir im Herbst erneut ein Problem. Bzw.: Die aktuellen Probleme gehen nach einer Unterbrechung in die Verlängerung. Das wäre eine Katastrophe. Dies könnte auch dazu führen, dass Leute aus der aktiven Arbeit ausscheiden – weil man sich zu sehr an den Krisen-Modus gewöhnt hat.

Manchmal bin ich erstaunt darüber, wie sehr man sich an den aktuellen Zustand gewöhnen kann. Neulich sah ich einen Film, in dem sich zwei Menschen zur Begrüßung umarmten. „Hey was machen die da?“ Eine spätere Szene spielte in einem Restaurant. „Schau mal, die haben geöffnet!“ Ich bin mir gar nicht so sicher, dass wir uns nach dem Ende des Lockdowns ins pralle Leben stürzen werden. Vielleicht merken wir gar nicht, wie sehr uns diese Situation verändert – auch über den Lockdown hinaus.

Ich denke, dass es vielen in Deutschland noch recht gut geht. Jedenfalls im Vergleich zu vielen anderen Ländern, darunter auch solchen in der „entwickelten Welt“. Vom globalen Süden will ich gar nicht reden. Ich befürchte, dass wir über den Lockdown diese Perspektive verlieren. Das fängt schon damit an, dass manche nicht realisieren, dass wir nur einen weichen Lockdown haben – sogar in Österreich ist er härter, von Spanien und Italien ganz zu schweigen. Bei uns gab und gibt es keine Ausgangssperre. Auch dürfen wir uns glücklich schätzen, dass unser Gesundheitssystem nicht in gleichem Ausmaß kaputt gespart (und privatisiert) wurde wie in einigen anderen Ländern. Ich bin froh, dass ich hier lebe – mein Verdienst ist es nicht.


Auch und gerade in Altenberge geht es uns noch ziemlich gut. Wir leben nicht in einem Corona-Hotspot, haben eine funktionierende und bürgernahe Gemeindeverwaltung (die den Ärzten ganz stark bei der Einrichtung einer Fieber—Praxis geholfen hat) und eine breit aufgestellte lokale Zivilgesellschaft: Kulturwerkstatt, der TuS, der Heimatverein, vor allem aber das Familienbündnis, das in Altenberge bereits seit Jahren auf gleich mehreren Feldern exzellente Arbeit leistet – das Bündnis ist ein wichtiges Stück Altenberger DNA.

Zum Schluss meine Hoffnungen. Im kleinen: Dass wir noch stärker den Wert und die Bedeutung einer funktionierenden Zivilgesellschaft erkennen. Und der Ehrenarbeit, auf der diese basiert. Im großen: Dass wir den gegenwärtigen Prozess der nationalen Selbstisolierung in Europa stoppen können, das richtige Maß zwischen Globalisierung und De-Globalisierung finden. Kurz und gut: Dass wir aus dieser Krise positive Schlüsse ziehen.

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